Die große Stärke einer Frau
Am 25. November 2019, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, wurde vor dem Potsdamer Rathaus die Flagge „Frei leben ohne Gewalt“ von Terre de Femmes gehisst, um ein Zeichen gegen jede Gewalt an Frauen zu setzen. Eine der Rednerinnen war die Vorsitzende des Migrantbeirats der Stadt Potsdam, Maria Pohle. Wir freuen uns, dass wir ihren Redebeitrag hier veröffentlichen können.
Die große Stärke einer Frau besteht darin, dass sie viel aushalten kann. Doch auch die große Schwäche einer Frau besteht darin, dass sie viel aushalten kann. Darunter auch Gewalt. Aus Not, aus Liebe, im Krieg oder in Partnerschaft, auf dem Fluchtweg oder in den eigenen vier Wänden – es gibt nach wie vor viel zu viele Situationen, in denen Frauen Gewalt ausgesetzt sind und diese aushalten müssen. Wie die vielen Wege, auf denen Frauen mit Gewalt konfrontiert werden, sind auch die Formen dieses grässlichen Verbrechens sehr unterschiedlich:
In der Erklärung der UN-Generalversammlung über die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen wurde schon vor 20 Jahren als allgemeine Definition geschlechtsspezifischer Gewalt JEDE Form der Handlungen verstanden, die Frauen körperliche, sexuelle oder psychologische Schäden hinzufügen, gleichwohl im öffentlichen oder im privaten Bereich. Die Formen solcher Misshandlungen können unterschiedlich sein, doch eines bleibt dabei gleich: Jede Gewalt beeinträchtigt im furchtbaren Ausmaß die psychische und physische Gesundheit einer Frau und übt lange Jahre über die Gewalttat hinaus einen verheerenden Einfluss auf das Leben des Opfers. Um es deutlicher zu machen: vor 20 Jahren verursachte die Gewalt an Frauen öfter gesundheitliche Schäden, Behinderungen und Todesfälle als Verkehrsunfälle, Krebs und Malaria zusammengenommen…
Seitdem hat sich die Situation dank der unermüdlichen Arbeit der Verfechter und Verfechterinnen der Frauenrechte weltweit verbessert: Es wurden weltweit wegweisende Richtungsänderungen in der Politik zugunsten der Geschlechtergleichstellung und gegen Frauendiskriminierung jeder Art unternommen. Es wurden wichtige Schritte auf politischer und gesellschaftlicher Ebenen vereinbart und konkrete Maßnahmen gefördert, um explizit die Gewalt gegen Frauen nachhaltig zu vermindern beziehungsweise zu beseitigen. Und es hatte Wirkung: So sind frauenfeindliche und schädliche Praktiken wie Kinderheirat oder Genitalverstümmlung in letzten 10 Jahren um 30 Prozent weltweit zurückgegangen. Eindeutig eine positive Entwicklung – doch der Kampf gegen „Gewalt an Frauen“ ist lange nicht gewonnen und das Thema bleibt – leider! – auch heute hochaktuell.
Als Vorsitzende des Migrantenbeirates möchte ich hierbei auf die Notlage der Frauen mit Fluchterfahrung sowie Frauen, die ihr Leben im Land eines bewaffneten Konfliktes führen müssen, hinweisen. Diese Frauen sind heute besonders stark von allen Formen der geschlechtsspezifischen Gewalt betroffen. Unsere Aufgabe und Pflicht als Teil der Weltgemeinschaft ist es, unsere volle Aufmerksamkeit jedem einzelnen dieser furchtbaren Verbrechen an Frauen zu widmen, die Verantwortung dafür mitzutragen und jede Form der Unterstützung den Opfern zukommen zu lassen, die unsere entwickelte Gesellschaft zu gewährleisten vermag. Es gibt keine politischen, keine traditionellen, keine religiösen und auch keine wirtschaftlichen Gründe, die Gewalt gegen Frauen legitimieren oder als Rechtfertigung dafür gelten dürfen. Genauso wenig wie es keine Gründe geben darf, über diese Verbrechen hinwegzusehen oder den Opfern Hilfe zu verweigern.
Noch schwieriger ist es, gegen Gewalt vorzugehen, die nicht im Krieg oder auf der Flucht entsteht, sondern in den eigenen vier Wänden. Die Partnerschaftsgewalt und sexueller Missbrauch in der Familie sind nach wie vor ein Gräuel, der unserer Gesellschaft unabhängig von kulturellen, religiösen oder sozio-ökonomischen Status der betroffenen Familien anhaftet. In Deutschland werden tagtäglich Hunderte von Frauen und Mädchen Opfer von Vergewaltigung, sexueller Nötigung, Stalking und Bedrohung – und die Zahl der Fälle ist in den letzten Jahren nicht nur nicht zurückgegangen, sondern sogar leicht gestiegen. Viele dieser Fälle werden weder zur Anzeige gebracht noch wird überhaupt darüber gesprochen. Doch auch hier zeichnet sich eine positive Tendenz ab – weg von Verschwiegenheit hin zum laut werden und Zurückerlangen des eigenen Rechtes auf körperliche und psychische Unversehrtheit. Hier gilt auch meinerseits nach wie vor der Appel an Staat und Gesellschaft, die Maßnahmen und Initiativen zur Prävention der häuslichen Gewalt an Frauen noch stärker zu fördern und den Ländern und Kommunen die dafür erforderlichen Mittel bereitzustellen. Gleichzeitig sollen mehr niederschwellige, leicht erreichbare Angebote für die umfassende Hilfestellung und Unterstützung aller Frauen und Mädchen geschaffen werden, die bereits Opfer geschlechtsspezifischen Gewalt geworden sind.
Wenn ich mich in dieser Runde umschaue, denke ich: wir sind hier auf dem richtigen Weg – und das macht die heutige Veranstaltung deutlich. Ich wünsche mir, dass diese schöne Aktion, die Flaggenhissung vor dem Potsdamer Rathaus heute als Zeichen der Anerkennung für die Anstrengungen aller Akteure, die in unserer Stadt gegen Gewalt an Frauen kämpfen, verstanden wird. Und gleichzeitig als Signal und Aufruf dazu, diese noch weiter zu verstärken: im Sinne der Zusammenarbeit aller Bündnisse, Einrichtungen, Institutionen, Projekte, Initiativen, Beiräte und nicht zuletzt Einzelpersonen – der Zusammenarbeit mit einem übergeordnetem Ziel: das Recht jeder Frau auf ein gewaltloses, selbstbestimmtes Leben in unserer Stadt zu sichern und ihr eine freie, bewusste Entscheidung hinsichtlich der eigenen Lebensgestaltung zu ermöglichen. Ein Recht, das jeder Frau und jedem Menschen zusteht.
Text: Maria Pohle