Eckpunktepapier Frauenschutzstruktur in Brandenburg – 2024
Deutschland ist dazu verpflichtet, das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt („Istanbul-Konvention“) umzusetzen und Frauen wirksam vor Gewalt zu schützen. In einem ersten Schritt muss dafür im Land Brandenburg das bestehende Hilfesystem stabilisiert und gesichert werden. In einem zweiten Schritt müssen die Angebote deutlich ausgebaut werden.
Das Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser e.V. (NbF) empfiehlt dahingehend die Umsetzung folgender Maßnahmen:
- Verstetigung des Telefon- und Videodolmetscherdienstes
Seit Juli 2023 stellt das Land Brandenburg einen Telefon- und Videodolmetscherdienst für ein breites Spektrum an staatlichen und zivilgesellschaftlichen Stellen zur Verfügung, der kostenlos und flexibel von den Einrichtungen genutzt werden kann. In der täglichen Arbeit der Frauenschutzeinrichtungen hat sich dieser Dienst als enorm wertvoll erwiesen. Die Mittel dafür laufen im Dezember 2024 aus. Damit stehen die Einrichtungen erneut vor großen logistischen Herausforderungen in der Beratung und Begleitung von Menschen mit geringen Deutschkenntnissen. Diese Herausforderungen erhöhen unweigerlich den Personalaufwand in Einrichtungen in denen ohnehin schon wenig personelle Kapazitäten zur Verfügung stehen.
Wir empfehlen die Verstetigung des Telefon- und Videodolmetschertools des Landes Brandenburg.
- Angemessene Personalausstattung in den Schutzeinrichtungen
Die Frauenschutzeinrichtungen in Brandenburg übernehmen in der Regel vier Aufgabenbereiche: sichere Unterbringung und Begleitung akut gewaltbetroffener Frauen und ihrer Kinder, ambulante Beratung für gewaltbetroffene Frauen, proaktive Beratung nach Gewaltschutzgesetz für gewaltbetroffene Menschen und Rund-um-die-Uhr Bereitschaftsdienst. Die Einrichtungen decken all diese Bereiche mit sehr kleinen Teams zwischen zwei und sechs Mitarbeiterinnen ab. Gute Frauenhausarbeit braucht eine angemessene Personalausstattung, die neben der Sozialen Arbeit mit Frauen und Kindern auch zusätzliche Aufgaben wie Finanzverwaltung, Öffentlichkeitsarbeit, Netzwerkarbeit, Prävention, Hauswirtschaft und geschäftsführende Tätigkeiten berücksichtigt.
Wir empfehlen den Ausbau der Förderung unter Berücksichtigung der tatsächlichen Personalbedarfe in den Frauenschutzeinrichtungen für geschäftsführende Aufgaben, Verwaltung, Netzwerkarbeit, Öffentlichkeitsarbeit, Prävention und Hauswirtschaft. Angelehnt an die Qualitätsempfehlungen der Frauenhauskoordinierung e.V. empfehlen wir für die Soziale Arbeit die Umsetzung eines Personalschlüssels von einer Vollzeitstelle Soziale Arbeit je fünf Betten bzw. zwei Familienzimmern.[1]
- Einführung eines Hochrisikomanagements
Immer wieder werden Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet, auch bei uns in Brandenburg. Diese sogenannten Hochrisikofälle müssen nicht als Schicksal hingenommen werden. Erfahrungsgemäß hatten diese Familien oder Paare bereits lange vor der finalen Tat schon Kontakt zu verschiedenen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen und Organisationen, die Schlimmeres verhindern können, wenn sie alle relevanten Informationen haben und wirksame Präventionsmethoden anwenden.
Brandenburg hat bisher noch keines der erprobten Instrumente zur Verhinderung dieser Morde regulär installiert. So arbeitet die Polizei noch nicht flächendeckend mit Gefährdungseinschätzungstools wie beispielsweise Danger Assessment oder ODARA. Es gibt in Brandenburg noch keine Fallkonferenzen, in denen verschiedene Akteure wie Polizei, Jugendamt, Frauenhaus etc. ihre Erkenntnisse zusammenführen und gemeinsam einen Schutzplan für Betroffene entwickeln können.
Wir empfehlen die Einführung von interdisziplinären Fallkonferenzen Häusliche Gewalt nach § 45a BbGPolG und die flächendeckende Verwendung von Gefährdungseinschätzungstools durch die Polizei und andere Einrichtungen, die in Kontakt mit Gewaltbetroffenen kommen.
- Ausbau externer Beratungs- und Interventionsstellen
Frauenschutzeinrichtungen in Brandenburg, anders als in anderen Bundesländern, übernehmen weit mehr Aufgaben als die Unterbringung und Begleitung von gewaltbetroffenen Frauen und ihren Kindern. Sie bieten ambulante und nachgehende Beratung an und sie fungieren als Interventionsstellen nach dem Gewaltschutzgesetz. Frauenhäuser können aus Sicherheitsgründen ihre Adressen nicht öffentlich machen. Gleichzeitig besteht der Anspruch eine sichtbare und niedrigschwellige Anlaufstelle für Hilfesuchende zu sein.
Eine solide Struktur von externen Frauenberatungsstellen im Land könnte die Aufgabenbereiche der Interventionsstellen und der ambulanten Beratung übernehmen. Sichtbare Beratungsstellen können besser Öffentlichkeitsarbeit und Netzwerkarbeit betreiben. Frauenhäuser könnten nach Auslagerung dieser Aufgaben entlastet werden und sich auf die Kernaufgaben von Schutz, Unterbringung und nachgehender Beratung konzentrieren. Frauenhäuser sind primär Anlaufstellen für Frauen, die spezifisch vor Gewalt im eigenen zu Hause fliehen müssen. Beratungsstellen decken ein breiteres Themenspektrum ab. So beraten sie auch Frauen, die von Stalking, Gewalt am Arbeitsplatz oder Gewalt im digitalen Raum betroffen sind und somit nicht in den Zuständigkeitsbereich der klassischen Frauenhausarbeit fallen. Beratungs- und Interventionsstellen können den Bereich der Präventions- und Qualifizierungsangebote ausbauen.
Für die Einrichtung dieser neuen Beratungsstellen sollte auf die Kompetenz der bestehenden Träger und Teams zurückgegriffen werden, um eine Ausfaserung des Hilfesystems zu verhindern.
Wir empfehlen die Einrichtung einer externen Frauenberatungs- und Interventionsstelle in jedem Landkreis und jeder kreisfreien Stadt. Dafür sollen die finanziellen und personellen Ressourcen der bestehenden Einrichtungen ausgebaut werden. Angelehnt an die Empfehlungen des Bundesverbandes der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe benötigen diese Stellen eine Personalausstattung von sieben Vollzeitstellen je 100.000 Personen im Einzugsgebiet.[2]
- kommunaler Finanzausgleich statt Zuwendung nach Landkreis
Die aktuelle Finanzierung der Frauenschutzeinrichtungen aus Landesmitteln, kommunalen Mitteln und Eigenmitteln der Träger ist ein unsicheres und umständliches Konstrukt, welches an den realen Bedürfnissen vorbei geht. Die Organisation der Zuwendungen nach Landkreis bzw. kreisfreier Stadt spiegelt nicht die Tatsache wider, dass Frauenschutzeinrichtungen Betroffene unabhängig von Herkunft aufnehmen und, laut Istanbul-Konvention, auch aufnehmen müssen. Keine Frau wird abgewiesen, weil sie aus einem anderen Landkreis oder sogar anderem Land kommt.
Die Höchstfördersumme pro Landkreis bzw. kreisfreier Stadt zwingt Einrichtungen, die sich historisch begründet im gleichen Landkreis befinden, in ein Konkurrenzverhältnis. Häuser in Brandenburg an der Havel und Potsdam, die seit Jahrzehnten Potsdam-Mittelmark mitversorgen und von dort Mittel erhalten, können sich nicht über ein neues Frauenhaus im Landkreis freuen, sondern müssen befürchten, dass der Wegfall der Landkreismittel für sie nun existenzbedrohend wird. Eine Abkehr von der starren Finanzierung nach Landkreis könnte dieses Problem aus der Welt schaffen.
Eine Finanzierung der Frauenschutzeinrichtung über den kommunalen Finanzausgleich könnte regeln, dass die Kommunen einen Beitrag zahlen, der sich an ihrer Bevölkerungszahl orientiert. Die notwendigen Mittel würden dann direkt vom Land an die bestehenden Frauenhäuser ausgeschüttet. Ein kommunaler Finanzausgleich wäre solidarisch und effizienter in der Umsetzung als das aktuelle Modell.
Dieses Modell wird bereits erfolgreich in Schleswig-Holstein angewandt. Mehr Informationen dazu finden sich hier.
Wir empfehlen die Grundfinanzierung der Frauenhäuser über den kommunalen Finanzausgleich. Die aktuelle Fördersumme beträgt ca. 6 Millionen Euro im Jahr.
- Ausbau der Platzkapazitäten
Die Istanbul-Konvention empfiehlt einen Schlüssel von 1 Familienzimmer je 10.000 Einwohner*innen. Damit würde Brandenburg aktuell 252 Familienzimmer benötigen. Die derzeitigen Frauenhäuser halten jedoch gemeinsam nur 135 Zimmer vor. Mittelfristig müssen bestehende Häuser vergrößert und neue gegründet werden, um dem Bedarf der Bevölkerung gerecht zu werden. Momentan müssen immer wieder Frauen weitervermittelt werden (in andere Häuser oder in andere Hilfesysteme). Insbesondere Frauen mit besonderen Bedarfen, Beeinträchtigungen oder Frauen mit vielen Kindern können oft erst nach langer Suche auf ein Schutzangebot zugreifen, da viele Häuser weder die bauliche, noch die personelle Ausstattung haben, um diese Frauen aufzunehmen und zu betreuen.
Wir empfehlen die Entwicklung eines langfristigen Aktionsplans zum bedarfsgerechten und barrierefreien Ausbau der Frauenschutzstrukturen nach den Vorgaben der Istanbul-Konvention unter Einbeziehung des Bundes und der Kommunen.
- Gewalthilfegesetz
Derzeit besteht in Deutschland kein Rechtsanspruch auf Gewaltschutz. Daraus folgt, dass sämtliche Finanzierung vom Land und den Kommunen unter den Begriff der „freiwilligen Leistungen“ fällt und damit in jeder Haushaltskrise von Streichungen bedroht ist. Frauenhäuser sind Kriseneinrichtungen, die Leben retten, kein Luxus, den man sich freiwillig leistet, wenn die Kasse gerade stimmt.
Die dauerhaft unsichere Finanzierung führt auch dazu, dass es zunehmend schwieriger wird, qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen und zu halten. Ohne Personal können die Einrichtung den Betroffenen nicht helfen, selbst wenn die Plätze selbst vorhanden sind. Das wird mittelfristig dazu führen, dass die Platzkapazitäten sich verringern, während gleichzeitig deutschlandweit die Zahlen zu Gewalt gegen Frauen und Häuslicher Gewalt spürbar ansteigen.[3]
Wir empfehlen der Brandenburger Regierung sich auf Bundesebene für die Umsetzung eines Rechtsanspruchs auf Gewaltschutz und eine Bundesbeteiligung an einer Regelfinanzierung einzusetzen.
[1] Quelle: FHK, Qualitätsempfehlungen für Frauenhäuser und Fachberatungsstellen für gewaltbetroffene Frauen, 2014, S. 21
[2] Quelle: Bff, Stark gegen Gewalt. Warum Fachberatungsstellen gegen geschlechtsspezifische Gewalt unverzichtbar sind – und was sie brauchen, 2023, S. 15
[3] Quelle: BKA, Bundeslagebild 2023. Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten, 2024