Stellungnahme des Netzwerks der brandenburgischen Frauenhäuser e.V. (NbF) zum Gesetz zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vom 05. März 2024
Das NbF begrüßt die geschehene Überarbeitung des Brandenburgischen Polizeigesetzes und anderer Gesetze im Sinne der Istanbul-Konvention unter Einbeziehung des Gutachtens zum Umsetzungsstand der Konvention in Brandenburg von Frau Prof. Brzank.
Wir bedanken uns dafür, dass während des Entwurfsprozesses unsere Expertise aus der Praxis der Frauenschutzeinrichtungen miteinbezogen wurde. Nachdem das Gesetz nun verabschiedet und in Kraft getreten ist, möchten wir unsere Einschätzung zu den einzelnen Änderungen geben und unsere Bereitschaft signalisieren, die staatlichen Stellen bei der Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen zu unterstützen.
- Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot zum Schutz vor häuslicher Gewalt (§ 16a Absatz 1, 2, 5 und 7 BbgPolG)
Das NbF befürwortet eine Anpassung der Voraussetzungen für eine Wohnungsverweisung von „gegenwärtiger Gefahr“ zu „konkreter (Dauer-)Gefahr“ und die Ausweitung von 10 auf 14 Tage. Die Wohnungsverweisungen sind ein wichtiges Instrument, um weitere Gewalt zu verhindern und Eskalationen zu unterbrechen. Sie entlasten auch die Frauenschutzeinrichtungen, da Betroffene in ihrer Wohnung bleiben können und weitere rechtliche Schritte mit ambulanter Unterstützung durch Fachkräfte möglich sind. Ebenso halten wir es für sinnvoll, dass die Einhaltung der Wegweisung standardmäßig von der Polizei kontrolliert wird.
Wir sehen es auch positiv, dass „ein entgegenstehender Wille der gefährdeten Person regelmäßig unbeachtlich ist“. Betroffene von Partnerschaftsgewalt sind oft in tiefen emotionalen und psychischen Abhängigkeiten von den Tätern gefangen. In Momenten der Eskalation ist es den betroffenen Personen nicht immer möglich, die sicherste Entscheidung zu treffen. Da es sich um eine kurzfristige Schutzmaßnahme handelt, und es der betroffenen Person nach wie vor freisteht, eine Anzeige zu erstatten und/oder Anträge nach dem Gewaltschutzgesetz zu stellen, bleibt die Selbstbestimmung der betroffenen Personen gewahrt.
Der Hinweis auf die mögliche Teilnahme an einer Gewaltpräventionsberatung wird von uns ausdrücklich begrüßt.
- Hinweis auf zivilrechtlichen Schutz und Beratungsstellen (§ 16a Absatz 4 BbgPolG)
Das Gewaltschutzgesetz ermöglicht seit 2002 zivilrechtlichen Schutz für Betroffene von Gewalt im privaten und häuslichen Umfeld. Damit dieser Schutz greifen kann, müssen diese gefährdeten Personen jedoch in der Durchsetzung ihrer Rechte unterstützt werden. Dafür gibt es Interventions- bzw. Fachberatungsstellen die speziell für diesen Zweck geschult sind. Im besten Fall müssen die Personen sich nicht einmal selbst an diese Stellen wenden, sondern werden nach Polizeieinsätzen proaktiv von der Beratungsstelle kontaktiert.
Die Umsetzung des proaktiven Beratungsansatzes in der Praxis ist seit vielen Jahren unzufriedenstellend in Brandenburg. Gewaltbetroffene Personen werden in der akuten Stresssituation eines Polizeieinsatzes nicht ausreichend aufgeklärt oder können die Information nicht aufnehmen. Angst, Unsicherheit und Unwissenheit führen eventuell dazu, dass sie den ihnen zustehenden gerichtlichen Schutz nicht in Anspruch nehmen. Die Schutzmaßnahmen nach Gewaltschutzgesetz sind nicht nur eine Maßnahme, um vergangene Gewaltsituationen abzuschließen, sondern sie dienen explizit der Gefahrenabwehr. Gewaltvolle Beziehungen stellen eine Dauergefahr dar und folgen in der Regel einem Muster der stetigen Eskalation. Gewaltschutzmaßnahmen unterbrechen dieses Muster und verhindern zukünftige, intensivere Gewalthandlungen.
Im Sinne der Gefahrenabwehr und Prävention spricht das NbF sich ausdrücklich dafür aus, dass die gefährdeten Personen nicht nur über zivilrechtlichen Schutz aufgeklärt werden, sondern dass ihre Kontaktdaten von der Polizei an professionelle psychosoziale Beratungs- bzw. Interventionsstellen übermittelt werden, damit diese innerhalb von 24 Stunden, den Kontakt zu den gefährdeten Personen aufnehmen können. In Brandenburg kommen für diese Rolle die Frauenschutzeinrichtungen und die Einrichtungen der Opferhilfe in Frage. Diese Einrichtungen haben die spezifische fachliche Kompetenz für die Antragsstellung bei Gericht und die psychosoziale Betreuung der z.T. schwer traumatisierten Personen. Die Frauenschutzeinrichtungen halten eine Rufbereitschaft vor und können die Rückmeldung innerhalb von 24 Stunden auch am Wochenende leisten.
Eine klare Regelung, dass Daten in jedem Fall übermittelt werden, entlastet die Beamtinnen und Beamten und nimmt sowohl ihnen, als auch der gewaltbetroffenen Person die Entscheidung ab. Sollte sich die gefährdete Person in einer ersten Kontaktaufnahme seitens der Beratungsstelle gegen eine Beratung entscheiden, werden die Daten umgehend gelöscht und der Eingriff in den Datenschutz bleibt auf ein Minimum beschränkt. Andere Bundesländer machen vor, dass eine Regelung dieser Art mit der Datenschutzgrundverordnung grundsätzlich vereinbar ist.
- Kontakt- und Näherungsverbot (§ 16b BbgPolG)
Die Möglichkeit zur polizeilichen Anordnung eines Kontakt- und Näherungsverbots schätzen wir als hilfreich ein. In Momenten der Eskalation ist ein schnelles und entschiedenes Eingreifen von außen häufig sehr wirksam in der Verhinderung von weiteren Gewalthandlungen. Auch in diesen Fällen sprechen wir uns für eine Übermittlung der Daten für die proaktive Beratung aus.
- Verhaltensauflagen (§ 16c BbgPolG, Absatz 2)
Das NbF begrüßt die Möglichkeit zur gerichtlichen Auflage zur Täterarbeit. Erfahrungen aus anderen Bundesländern und Ländern haben gezeigt, dass die Arbeit mit den gewaltausübenden Personen in vielen Fällen eine nachhaltige Verhaltensänderung nach sich zieht und ein bewährtes Präventionsinstrument darstellt, auch wenn sie in einem Zwangskontext stattfindet. Hinzu kommt, dass mit diesem Vorgehen die Verantwortung für die Beendigung der Gewalt bei der gewaltausübenden Person verortet wird. Das ist ein wichtiges gesellschaftliches Signal in der Einordung von gewaltvollen Beziehungen.
- Ordnungswidrigkeiten, Verordnungsermächtigung (§ 16d BbgPolG)
Die Aufnahme entsprechender Bußgeldtatbestände schätzen wir ebenso als zielführendes Mittel ein, um gewaltausübende Personen von weiteren Gewalthandlungen abzuhalten. Kleinere Bußgelder, die an Ort und Stelle ausgesprochen werden, sind häufig eine erfassbarere Konsequenz als alles, was am Ende eines langwierigen Gerichtsprozesses liegen könnte. Dieses Mittel hat daher wahrscheinlich eine höhere Abschreckungswirkung als bisherige Maßnahmen.
- Opferschutzmaßnahmen (§ 35a und § 35b BbgPolG)
Die Neuregelung, dass hochgefährdete Personen als Schutzpersonen einen Tarnidentität erhalten können, halten wir für sehr sinnvoll. Auch in Brandenburg werden regelmäßig Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern ermordet. Ein effektives Hochrisikomanagement kann nur mit opferbezogenen polizeilichen Schutzmaßnahmen gelingen.
Auch die Einschränkung der Übermittlung von personenbezogenen Daten durch öffentliche und nicht-öffentliche Stellen ist eine sinnvolle Maßnahme. Frauenschutzeinrichtungen beherbergen zum Teil hochgefährdete Personen und müssen aus Sicherheitsgründen ihre Adressen geheim halten. In der Praxis kommt es im amtlichen Schriftverkehr jedoch immer wieder zu versehentlicher Offenlegung, die dem Täter eine unerlaubte Kontaktaufnahme ermöglicht und im Ernstfall dazu führt, dass die Frau das Haus verlassen muss, um sich und die anderen Bewohnerinnen nicht zu gefährden.
- Zusammenarbeit in gemeinsamen Gremien (Fallkonferenzen) (§ 45a BbgPolG)
Fallkonferenzen sind ein erprobtes Mittel der Gefahrenabwehr und des Hochrisikomanagements. Hochgefährdete Familien sind oft bereits bei mehreren öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Stellen angedockt. Wenn es gelingt, dass bspw. Polizei, Frauenberatungsstelle, Jugendamt und andere ihre Puzzleteile in Fallkonferenzen aneinanderlegen, kann eine aussagekräftige Gefährdungseinschätzung vorgenommen werden und ein Notfallplan für die gefährdeten Personen entwickelt werden.
Wir begrüßen die neue Regelung, dass die Polizei sich an Fallkonferenzen und anderen Gremien dieser Art beteiligt und hier auch mit „sonstigen Stellen“ wie bspw. Frauenhäusern zusammengearbeitet werden kann. Jedoch schränkt der Paragraf nach wie vor die Datenübermittlung auf ausschließlich öffentliche Einrichtungen des Bundes und der Länder ein. Damit ist eine fallspezifische Zusammenarbeit von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Stellen weiterhin ausgeschlossen, selbst bei einer vorliegenden Schweigepflichtentbindung durch die gefährdete Person. Unter diesen Bedingungen fürchten wir, dass die erreichte Wirkung zur Gefahrenabwehr sich in Grenzen halten wird.
- Informationen zu Gefahrenlagen (§ 19a BbgRettG)
Medizinischem Personal in Krankenhäusern, Praxen oder Rettungsdiensten kommt eine besondere Bedeutung in der Erkennung und Bezeugung von den Folgen häuslicher Gewalt zu. Sie sind oft die ersten, die die Spuren sehen und einordnen. Berufsgeheimnisträgerinnen und -träger wandten sich in der Vergangenheit zum Teil anonym an die Frauenschutzeinrichtungen und ließen sich beraten, wie sie Betroffene unterstützen können, ohne ihre Schweigepflicht zu brechen. Die hier verabschiedete Neuerung im BbgRettG erhöht die Rechtssicherheit für medizinisches Personal und senkt die Hemmschwelle, in Fällen von häuslicher Gewalt aktiv zu werden. Gerade Betroffene in sehr lange anhaltenden Gewaltbeziehungen sind darauf angewiesen, dass Menschen von außen intervenieren, da ihnen als Folge der Gewalt häufig die Kraft und Selbstwirksamkeit fehlt, sich allein aus der Beziehung zu befreien.
Das Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser steht weiterhin gerne beratend zur Verfügung, wenn es um die Erstellung und Umsetzung der Verwaltungsvorschrift geht. Die wirksame Bekämpfung und Prävention von Gewalt im privaten Raum gelingen nur in Kooperation. Im Sinne der Betroffenen ist es uns ein Anliegen auch in Zukunft eng mit der Brandenburger Polizei zusammen zu arbeiten.