„Wir können uns diese Gewalt nicht mehr leisten“ – Rede des NbF zur Flaggenhissung am Landtag 25.11.2024
Wir haben heute schon mehrmals über die Zahlen im jüngst veröffentlichten Lagebild Gewalt gegen Frauen des BKA letzte Woche gesprochen.
Ich beschäftige mich beruflich jeden Tag mit diesem Thema, aber diese Zahlen liegen auch mir schwer im Magen. In allen Deliktbereichen gibt es einen Anstieg. Die Gewalt gegen Frauen wird mehr und sie wird schlimmer. Und neben Trauer und Angst und Bestürzung bleibt bei mir vor allem eins: Wut.
Wir arbeiten uns die Finger wund, aber ein Blick auf die Zahlen könnte einen glauben lassen, dass es rein gar nichts bringt. Und was genau ist die Wand an die wir immer wieder stoßen? Woran hängt es, dass Deutschland nicht genug Frauenhausplätze, kein flächendeckendes Hochrisikomanagement und auch nach fast vier Jahren kein Gewalthilfegesetz hat? Am lieben Geld.
Wie viel ist ein Menschenleben wert? Gibt es Unterschiede im Wert zwischen dem Leben eines Mannes und dem Leben einer Frau, dem eines Kindes? 155 Frauen wurden letztes Jahr von ihrem Partner ermordet. Was hätte es gekostet, ihre Leben zu retten?
Wollen wir die Gesellschaft sein, die sich das leider einfach nicht leisten kann? Leisten will? Wollen wir ein Land sein, in dem Frauen auf dem Randstreifen der A9 erschossen werden, aber sorry, die Kassen sind knapp.
6 Millionen Euro kostet der Gewaltschutz in Brandenburg insgesamt. In Relation zum Landeshaushalt sind das Peanuts. Aber mehr ist leider nicht drin. Tut uns leid. Ein paar Frauen müssen dann eben einfach sterben.
Na gut. Wenn wir also mit dem Argument der Menschenrechte nicht weiterkommen, dann brauche ich wohl eine neue Strategie. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit, der Schutz des Lebens oder die Wahrung der Menschenwürde – die laut Grundgesetz Aufgabe aller staatlicher Gewalt ist – reichen offensichtlich nicht aus, um eine Verbesserung der Dinge herbeizuführen.
Dann eben Geld. Wir wissen wieviel Gewaltschutz uns kostet, aber was kostet uns Gewalt gegen Frauen?
Funkwageneinsätze der Polizei zu Häuslicher Gewalt kosten uns in Deutschland 109 Millionen Euro im Jahr. Justizkosten für diese Fälle belaufen sich auf 205 Millionen Euro. Im Gesundheitssystem fallen jährlich knapp 300 Millionen Euro an für die Versorgung und Behandlung von Betroffenen.
Dazu kommen indirekte Kosten. 1,3 Milliarden Euro Schaden entstehen durch Krankmeldungen von gewaltbetroffenen Frauen. 563 Millionen Euro kostet die Psychotherapie für durch häusliche Gewalt traumatisierte Kinder. Wie viel Geld entgeht Deutschland dadurch, dass Frauen nicht ihr ganzes Potenzial ausschöpfen können, weil so viel Energie dafür verwendet werden muss, einfach nur zu überleben? Prof. Dr. Sylvia Sacco von der BTU Cottbus-Senftenberg hat es ausgerechnet. Sie kommt mit allen direkten und indirekten Kosten auf eine Schätzung von jährlich 3,8 Milliarden Euro. Und das ist nur das Hellfeld. Das Dunkelfeld ist hier noch nicht einmal abgebildet. So viel kostet uns Gewalt.
Wieviel ist ein Menschenleben wert? Wieviel das Leben eines Mannes, das einer Frau, das eines Kindes? Wenn mir das nächste Mal ein Finanzministerium sagt, dass wir uns Gewaltschutz nicht leisten können, kann ich nur sagen: Andersherum wird ein Schuh draus.
Die Kassen sind leer. Wir können uns diese Gewalt nicht mehr leisten. Wir können uns nicht leisten, nicht in Prävention zu investieren. Wir können uns nicht leisten, nicht genug Beratungsstellen und Frauenhausplätze zu haben. Wir können uns nicht leisten, keinen Rechtsanspruch auf Gewaltschutz in diesem Land zu haben.
Wir brauchen das Gewalthilfegesetz jetzt! Wir brauchen eine Welt, in der Frauen und Mädchen nicht nur überleben, sondern sich voll entfalten können. In der ihr Leben, ihre Träume, ihre Kompetenz und ihr Beitrag zu unserer Gesellschaft wertvoll sind. Wir brauchen eine Welt in der ein Menschenleben unbezahlbar ist.
Vielen Dank!
– Laura Kapp, Koordinatorin beim Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser e.V.