„Für viele war der Wind rauer geworden“
Am 14. März 2020 feiert das Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser e.V. (NbF) seinen 25. Geburtstag. Aus diesem Anlass schauen wir gemeinsam zurück. Dr. Bärbel Heide Uhl, Referentin der Koordinierungsstelle führte dieses Interview mit Dr. Regine Grabowski. Dr. Grabowski ist eine der Frauen der ersten Stunde und war von 1997 bis 2003 Koordinatorin des Netzwerkes der brandenburgischen Frauenhäuser.
Dr. Uhl: Liebe Regine, wann und wie bist Du zum Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser gekommen und was war Deine Rolle in der Koordinierungsstelle?
Dr. Grabowski: Wie in vielen Fällen änderte sich mein bisheriges Leben nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschlands vollständig. Meine Hochschule, in der ich als Dozentin arbeitete, wurde abgewickelt. Ich nahm das mehr oder weniger zufällige Angebot des Arbeitersamariterbundes (ASB) in Königs Wusterhausen an, das neu gegründete Frauenhaus zu leiten. Der Ort hatte keinen aktiven Frauenverein, und der ASB versprach sich von dieser Einrichtung finanzielle Vorteile.
Wie viele andere Kolleginnen in Brandenburg begannen wir voller Elan unsere Arbeit. ABM-Stellen gab es reichlich, aber wir waren im Grunde alle „Laien“ auf dem uns wenig vertrauten Gebiet. Das damalige Ministerium für Arbeit, Soziales und Frauen (MASGF) unter der Ministerin Regine Hildebrand suchte bald nach Möglichkeiten, die Frauenhaus-Mitarbeiterinnen für ihren Einsatz zu qualifizieren. 1994/1995 absolvierten 24 Frauen aus 18 Frauenhäusern eine fundierte berufsbegleitende Ausbildung. Wir erweiterten nicht nur unser Wissen, sondern wir fanden auch guten Kontakt zueinander. Der Anfang einer Vernetzung war gemacht. Viele Vorurteile wurden abgebaut, wie z. B. die zwischen den Kolleginnen aus den autonomen Frauenhäusern und denen aus Häusern der großen Wohlfahrtsverbände. Der schon lange gewollte Zusammenschluss zu einer Landesarbeitsgemeinschaft wurde mit der Gründung des NbF als eingetragenen Verein wenige Monate nach Beginn der Ausbildung realisiert. Das MASGF förderte die Gründung mit einer Personalstelle für die Koordinierung der Frauenhausarbeit im Land Brandenburg.
Ich habe die Gründungsmonate nur als Beobachterin verfolgen können, da mein damaliger Vorgesetzter strikt gegen feministische Ansätze war. Die beiden Frauenhäuser des ASB (das 2. war in Luckenwalde) waren dann auch die einzigen in Brandenburg, die nicht Mitglieder im Netzwerk sein konnten.
Anfang 1996 wurde ich beim ASB entlassen und fing an, in der neu geschaffenen Koordinierungsstelle des NbF zu arbeiten. Ich blieb dort bis zum 30. Juni 2003, als das Ministerium die Förderung der Koordinierungsstelle ersatzlos strich. Bis 2016 haben die im Netzwerk zusammengeschlossenen Frauenhäuser mit bewundernswerter Energie die vielen Jahre ohne Förderung überbrückt mit ihrem ehrenamtlichen Engagement. [Seit 2016 wird erneut eine Koordinierungsstelle vom Sozialministerium gefördert. Anm. d. R.]
Während meiner Tätigkeit in der Koordinierungsstelle sind einige Dinge möglich geworden:
- wissenschaftliche Begleitung der Arbeit in den Frauenhäusern: So führen alle Frauenhäuser nach einer langen Diskussion eine einheitliche Statistik zu den Bewohnerinnen, die für jedes Haus und für das Land ausgewertet wird.
- Öffentlichkeits- und politische Arbeit: Es wurden Kontakte zu den Frauenpolitischen Sprecherinnen aller Fraktionen des Landtages gepflegt, um die Finanzierung der Frauenhäuser zu sichern
- Jährliche landesübergreifende Veranstaltungen: z. B. 1997 das Ost-West-Treffen, 1999 ein Workshop zur Möglichkeit von Interventionsprojekten in Brandenburg und eine Veranstaltung zum österreichischen Gewaltschutzgesetz.
- Hilfe vor Ort: Die Koordinierungsstelle konnte die Frauenhäuser bei Verhandlungen mit den Kommunen oder Landkreisen unterstützen.
- Mitarbeit in vielen Gremien: z.B. im Frauenpolitischen Rat, in der OAG (Zusammenschluss der Frauenhäuser Ostdeutschlands bis 1998), sowie die Teilnahme an bundesweiten Treffen und an der Arbeit der bundesweiten Koordinierungsstelle Frauenhäuser.
In den sieben Jahren meiner Tätigkeit gab es eine gute und zielgerichtete Zusammenarbeit mit den verantwortlichen Kolleginnen beim MASGF in Potsdam.
Kannst Du die gesellschaftspolitische Atmosphäre in den 1990er bezüglich Frauenrechte und Gewalt gegen Frauen beschreiben?
Nach den großen Umbrüchen mit den vielen persönlichen Veränderungen im Osten Deutschlands glaube ich, dass die Themen Frauenrechte und Gewalt gegen Frauen nur für wenige Menschen wichtig waren. Natürlich für die betroffenen Frauen und die, die sich für sie engagieren wollten. ‚Frauenrechte – hatten wir doch‘ – sagten viele. ‚Ich bin nie auf Arbeit diskriminiert worden, ich konnte mich leicht scheiden lassen, ich konnte mein Leben selbst gestalten‘, so ihre Überzeugung. Für viele war der Wind rauer geworden. Frauen wurden oft als erste arbeitslos.
Gewalt gegen Frauen war aber auch in der DDR ein Teil des alltäglichen Lebens vieler Frauen, wenn auch ein meist verschwiegener Teil. Sicher hatte man hier und da etwas gehört oder mitbekommen. Es gab 1979 sogar den bemerkenswerten DEFA-Film „Bis daß der Tod euch scheidet“ (Katrin Saß in ihrer ersten Filmrolle) von Günter Rückert über brutale häusliche Gewalt.
Konkrete Hilfe konnten die Betroffenen selten erwarten. Höchstens mal vom LPG-Vorsitzenden, der sich den prügelnden Traktoristen vorknöpfte. Auch das stärker als heute ausgeprägte solidarische Verhältnis von Arbeitskollegen und Nachbarn untereinander war für manche Frau hilfreich. Aber staatliche Hilfe war nicht zu erwarten, auch nicht von Verbänden wie dem Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD). Gewalt gegen Frauen, dass passte nun mal nicht in das auch von diesem Verband propagierte sozialistische Menschenbild. Einzig die Kirche kümmerte sich im begrenzten Maße um die Gewaltopfer.
Tief verwurzelt war die Ansicht, dass nur in den unteren Schichten Gewalt in der Familie existiert. Und dann hätten die Frauen sicher auch Schuld. Als ich z. B. meiner gutmütigen Mutter sagte, dass ich in einem Frauenhaus arbeiten werde, sagte sie: ‚Mit solchen Frauen willst du arbeiten?‘ Soviel kann Sprache verraten!
Flucht vor der Gewalt galt auch in den 1990er Jahren – vor allem im ländlichen Bereich – als unakzeptable Lösung. So saß eines Tages eine Abgeordnete aus einem Dorf in meinem Büro und wollte eine Bewohnerin wieder mitnehmen. Sie gab den ganzen Kanon von Mythen wieder, der überaus gängig war: ‚Eine Ohrfeige hat noch nie geschadet, Pack schlägt sich, Pack verträgt sich … usw.‘
Gegen diese Situation hatten die Frauenhausmitarbeiterinnen zu kämpfen, und sie taten es vielfach öffentlich. In Potsdam z. B. hatten sie einen Stand aufgebaut mit einer Puppe im Brautkleid, auf dem die häufigsten Verletzungen rot markiert waren. Und sie wurden nicht müde, in den Medien Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. Es wurden Demos organisiert und jährlich im November der „Tag gegen Gewalt an Frauen“ begangen. Ministerpräsident Platzek hisste wohl zum ersten Mal vor seinem Amtsgebäude die Anti-Gewalt-Fahne von Terre des Femmes. Wir bekamen Unterstützung sowohl von einigen einheimischen Politikerinnen und Politikern als auch von den feministischen Organisationen aus den alten Bundesländern.
Was waren für Dich die wichtigsten Problemlagen am Anfang Deiner Tätigkeit in der Koordinierungsstelle?
Geld, Geld, Geld! Das MASGF förderte zwar einen Teil der Personalkosten in den Frauenhäusern, aber von Jahr zu Jahr etwas weniger, also musste manche Personalstelle gekürzt werden. Es gab Frauenhäuser mit nur einer Personalstelle, Bereitschaftsdienste übernahmen mitunter auch die Ehrenamtlichen aus dem Trägerverein. Mir ist als extremes Beispiel Luckenwalde in Erinnerung. Dort nahm die einzige Mitarbeiterin jeden Abend das Telefon mit ins Bett. Sie wehrte sich lange Zeit nicht, denn ihr Mann war schon arbeitslos.
Mühselig war es oft, die fehlenden Gelder vom Kreis oder der Stadt zu bekommen. Wichtigstes Thema war immer das prinzipielle Problem der Frauenhausfinanzierung. Ich glaube, auch heute werden die Frauenhäuser noch als Projekte gefördert, an eine institutionelle Förderung ist auch heute noch nicht zu denken. Schön, wenn ich mich irre! Wieviel Zeit und Arbeitskraft wurde mit der Geldbeschaffung vergeudet!
Aus den aktuellen Materialien des NbF habe ich ersehen, dass sich auf dieser Strecke manches verändert hat. Aus manchen Frauenhäusern wurden Zufluchtswohnungen, aber ich habe auch gemerkt, dass einige Einrichtungen dazugekommen sind. – Gut so!
Welche waren aus Deiner Sicht die wichtigsten Errungenschaften des NbF e.V. während Deiner Tätigkeitsjahre?
Eine schwierige Frage! Schon dass es das Netzwerk gab, war eine Errungenschaft.
- Sieben Jahre gesicherte Finanzierung, das war schon eine tolle Sache.
- Der Vorstand konnte sich in vielen Fragen von organisatorischen Aufgaben lösen und sich auf die inhaltlichen Probleme konzentrieren.
- Die Möglichkeiten schnell und koordiniert miteinander zu kommunizieren war erleichtert. Die Mitglieder wurden durch regelmäßige Rundbriefe über die Arbeit des Vorstandes und über Probleme und Erfolge in den einzelnen Häusern informiert. Die Koordinatorin konnte zu den Standorten fahren und Unterstützung geben.
- Das Netzwerk war die Stelle, an der die Erfahrungen der unterschiedlichen Frauenhäuser in den unterschiedlichen Landkreisen ausgetauscht werden konnten.
- Die Zuständigen in den Parteien und im Parlament hatten eine ständige Partnerin.
Wie schätzt Du die aktuelle Situation der Frauenhäuser in Brandenburg ein?
Es wäre vermessen, das zu tun, dafür fehlen mir einfach die Kenntnisse. Ab und zu höre oder sehe ich in den Medien etwas, und ich habe den Verdacht, dass Vieles noch veränderungsbedürftig ist.
Ich bewundere aus vollem Herzen solche Frauen wie Catrin Seeger [Leiterin des Frauenhauses in Rathenow und Vorstandsfrau des NbF e.V., Anm. d. R.], die nach fast 30 Jahren Frauenhausarbeit mit immer neuen Ideen und ungebrochenem Elan für die Frauen und gegen Gewalt aktiv sind – das musste mal gesagt werden!
Das Motto der diesjährigen 30. Brandenburgischen Frauenwoche heißt „Zurück in die Zukunft“. Wie stellst Du Dir das Jahr 2040 für die Situation der Frauenhäuser in Brandenburg vor?
2008 hatte die 18. Brandenburgische Frauenwoche das Motto „Mit Vielfalt und Beteiligung Zukunft gestalten“. Vielleicht liegt darin auch der Kern der diesjährigen Veranstaltung.
„Zurück in die Zukunft“ heißt für mich, den Schwung und die Energie aus den vergangenen Zeiten mit in die Zukunft zu nehmen, nicht nachzulassen in den Bemühungen, alles gegen die wachsende Gewalt in der Gesellschaft zu tun. Unsere ersten Jahre waren geprägt von Optimismus, den gilt es zu behalten. Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass sich die Probleme verringern werden. Die Frauenhäuser sind noch lange nicht an dem utopischen Ziel, sich durch ihre politische Arbeit selbst abzuschaffen.
Für die Frauenhäuser selbst wünsche ich mir am meisten, dass ihre Finanzierung in Zukunft gesichert ist, dass sie mit gut ausgebildeten und engagierten Kolleginnen arbeiten können. Wir haben begonnen, Tabus aufzubrechen, das nehmen wir auch in die Zukunft mit. Frauenhausarbeit ist politische Arbeit, und die Politik muss unser bester Verbündeter sein!