Stellungnahme des NbF e.V. zum Vorschlag der Frauenhausfinanzierung auf Grundlage eines einzelfallorientierten Rechtsanspruches
Seit 2018 tagt unter Federführung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) der Runde Tisch „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ an dem Bund, Ländern und Kommunen allerdings ohne die Zivilgesellschaft zusammenkommen. In diesem Rahmen hat sich Bundesministerin Dr. Giffey im vergangenen Juni dafür ausgesprochen, gewaltbetroffenen Frauen einen individuellen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung zu zusichern. Dieser soll in einem eigenen Abschnitt nach den §§ 67 ff im Sozialgesetzbuch (SGB XII) zu verortet bzw. als eigenes Gesetz geregelt werden.
Zivilgesellschaftliche Akteurinnen wie die Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF) und der Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) kritisieren dieses einzelfallorientierte Finanzierungskonzept, das die Alimentierung des Frauenhausaufenthalts auf Grundlage eines individuellen Rechtsanspruches anstelle einer institutionalisierten Finanzierung festlegt. Wir als Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser (NbF e.V.) schließen uns der Kritik an und werden im Folgenden die Gründe unserer Position darlegen.
Durch jede Art von Einzelfallfinanzierung wird Gewalt gegen Frauen individualisiert und die betroffene Frau wird zur Problemträgerin gemacht, die für die Kosten ihres Schutzes selbst aufkommen muss. In einem Positionspapier der ZIF heißt es:
„Die Entscheidung über die Finanzierung von Schutz und Hilfe in einem Frauenhaus ist damit keine politische Entscheidung der Politiker*innen in Kommune, Land oder Bund mehr, sondern sie ist abhängig vom Ermessen der einzelnen Sachbearbeiter*innen im Jobcenter oder im Sozialamt. Der zunehmende Druck der Jobcenter bzw. Sozialämtern, die Finanzierung von Tagessätzen an ausführliche Begründungen über Aufnahme und Verweildauer der Frauen im Frauenhaus (Sozialberichte) zu koppeln, gefährdet Frauen und Kinder zusätzlich und ist außerdem ungesetzlich. Die Aufnahme und die Aufenthaltsdauer im Frauenhaus richten sich nicht mehr nach der sachlichen Notwendigkeit (Schutz vor Bedrohung, Entwicklung einer alternativen Lebensplanung), sondern nach der willkürlich von der Herkunftskommune festgelegten Bereitschaft zur Kostenerstattung und deren Dauer.“[1]
Aufgrund unserer langjährigen Erfahrung in der Frauenhaus- und Gewaltschutzarbeit sind wir außerdem überzeugt, dass ein individueller Rechtsanspruch die bürokratischen Hürden, Schutz in einem Frauenhaus zu finden, deutlich erhöht. Für die Geltendmachung eines Rechtsanspruches und den Bezug der entsprechenden Geldleistungen gelten Nachweispflichten analog den Nachweispflichten der Sozialgesetzbücher. Dadurch werden Frauen, die keinen Anspruch haben, z.B. Frauen mit ungesichertem oder irregulärem Aufenthaltsstatus, ausgeschlossen. Diese Einschränkung verstößt gegen die auch von Deutschland ratifizierten Istanbul Konventionen, die darauf abzielen, „einen umfassenden Rahmen sowie umfassende politische und sonstige Maßnahmen zum Schutz und zur Unterstützung aller Opfer von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt zu entwerfen“ (Artikel 1c)[2] und in denen ein Schutz aller Frauen „ohne Diskriminierung insbesondere wegen […] des Migranten- oder Flüchtlingsstatus oder des sonstigen Status“(Artikel 4 Absatz 3)[3] festgelegt ist.
Zudem steht die mit dem Rechtsanspruch einhergehende Nachweispflicht im gänzlichen Widerspruch zur Realität: häusliche Gewalt findet in der Regel ohne Zeug*innen statt, Frauen sind in einer emotionalen Ausnahmesituation, in der sie keine Ressourcen haben, sich ihre Verletzung von einem Arzt bzw. einer Ärztin oder der Rechtsmedizin attestieren zu lassen und bestimmte Gewaltformen wie psychische Gewalt sind insgesamt schwer nachzuweisen. Die Nachweispflicht verstößt damit ebenfalls gegen die Istanbul Konventionen, „Frauen vor allen Formen von Gewalt zu schützen […].“ (Artikel 1a)[4].
Statt der vom BMFSFJ vorgeschlagenen Einzelfallfinanzierung befürworten wir als NbF e.V. eine einzelfallunabhängige, pauschale und bedarfsgerechte Frauenhausfinanzierung, die den Interessen der von Gewalt betroffenen Frauen und ihrer Kinder entspricht. Das Recht aller Frauen und Kinder auf Schutz vor Gewalt ist bereits jetzt im Grundgesetzt und in der Istanbul-Konvention verankert – nun geht es darum, diesen Anspruch durch bedarfsgerechte Finanzierung umzusetzen. Konkret fordern wir ein 3-Säulen-Modell zur institutionellen Frauenhausfinanzierung, wie es beispielsweise die ZIF vorschlägt[5]. Eine gesicherte Finanzierung durch einen Sockelbetrag sowie durch Personal- und Gebäudekosten sehen wir als Basis für die Umsetzung der Istanbul Konvention.
Insgesamt wünschen wir uns, dass die zivilgesellschaftlichen Verbände stärker in die Verhandlungen um die Finanzierung des Gewaltschutzes einbezogen werden, um so die Situation aller gewaltbetroffenen Frauen tatsächlich zu verbessern.
[1] Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF) 2018, S. 15: Sicher, schnell, unbürokratisch und bedarfsgerecht: Positionspapier zur einzelfallunabhängigen Finanzierung von Frauenhäusern, https://www.autonome-frauenhaeuser-zif.de/de/themen/frauenhausfinanzierung (Zugriff am 24.08.2020)
[2] Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt und erläuternder Bericht, Istanbul 11.5.2011, https://rm.coe.int/1680462535 (Zugriff am 24.08.2020)
[3] Ebd.
[4] Ebd.
[5] Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF) 2018, S. 16ff: Sicher, schnell, unbürokratisch und bedarfsgerecht: Positionspapier zur einzelfallunabhängigen Finanzierung von Frauenhäusern, https://www.autonome-frauenhaeuser-zif.de/de/themen/frauenhausfinanzierung (Zugriff am 24.08.2020)